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9. September 2021

Arthur Weiner (1877–1933)

Arthur Weiner hatte eine besonders angesehene und herausgehobene Position unter den Bürgern der Stadt Chemnitz inne. Als zweiter Vorstandsvorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinde und angesehener Rechtsanwalt war er nicht nur Berater der jüdischen Gemeinde, sondern auch zahlreicher Unternehmer, Fabrikanten und Industrieller in Chemnitz. War es diese Kompetenz, Macht und das Ansehen, dass allen Hass der Nationalsozialisten auf ihn bündelte, so wurde Weiner eines der ersten Opfer des nationalsozialistischen Terror-Regimes in der Region Chemnitz.

Fotograf unbekannt, Fotografie Arthur Weiner, undatiert, Sammlung Jürgen Nitsche, Archiv Jüdische Gemeinde Chemnitz


Arthur Weiner wurde am 22. Juli 1877 als Sohn einer deutsch-jüdischen Familie in Chemnitz geboren. Als Freiwilliger leistete er im Jahr 1897 seinen einjährigen Militärdienst bei einem Infanterieregiment in Erlangen. Anschließend studierte Weiner Rechtswissenschaften an den Universitäten in Erlangen, Freiburg im Breisgau, Berlin und Leipzig. Nach einem Referendariat in einer Kanzlei promovierte der Jurist an der Universität Leipzig zum Thema Der Erbschein nach dem Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch. Im Jahr 1906 ließ sich Arthur Weiner als selbstständiger Rechtsanwalt in Chemnitz in der Kronenstraße 4 nieder.

Visitenkarte Dr. Arthur Weiner, Sammlung Jürgen Nitsche, Chemnitz

Seit 1907 zählte er als Kunstsammler zu den Mitgliedern der Chemnitzer Kunsthütte. Vor allem seine umfangreiche Porzellansammlung war weit über Chemnitz hinaus bekannt. Zudem war er Passives Mitglied der Künstlergruppe Brücke. Arthur Weiner schenkte der Kunsthütte die Mappe Die Ausgestoßenen mit sieben Lithografien von Ernst Barlach (1870–1938).

Ernst Barlach, Elend, aus der Mappe: Die Ausgestoßenen, 1922, erworben aus der Sammlung Arthur Weiner, 1930, 1937 beschlagnahmt, 1962 durch ein vorhandenes Exemplar ersetzt


Im Juli 1909 heiratete Arthur Weiner die jüdische Unternehmertochter Hildegard Bernstein (1888–1983). Mit ihren Töchtern Anni und Irene wohnte die Familie seit 1916 in einer um 1884 erbauten Villa an der Stollberger Straße 41 in Chemnitz. Zu den Klient:innen von Weiners Kanzlei gehörte der größte Teil der Chemnitzer jüdischen Fabrikanten wie Louis Ladewig (1865–1921), Georg Mecklenburg (1869–1932) und Hugo Max Oppenheim. Als prominenter Rechtsanwalt war Weiner seit den 1920er Jahren als Berater von Aktiengesellschaften tätig, saß im Vorstand von sieben Unternehmen und wurde 1923 zum Sächsischen Notar berufen.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialist:innen wurde eine regelrechte Hetzjagd auf zahlreiche jüdische Anwälte und politische Gegner eröffnet. Bereits am 18. Februar 1933 erstachen SA-Männer in Chemnitz den kommunistischen Funktionär Anton Erhardt auf offener Straße, am 31. März 1933 starb der jüdische Unternehmer Hans Sachs, Mitinhaber der Firma Marschel Frank Sachs AG, durch Suizid, um der Verhaftung durch die SA zuvor zu kommen. Elf Tage später, in der Nacht zum 11. April 1933 wurde Arthur Weiner Opfer eines Mordanschlages, dessen genauer Tathergang sich bis heute nicht vollständig rekonstruieren lässt. Am späten Abend des 10. April 1933 kamen drei in SA-Uniform gekleidete Männer zu Weiners Haus und verhafteten den Anwalt. Dieser zeigte sich unbesorgt nachdem er ihre Ausweispapiere selbst geprüft hatte. Anschließend fuhren sie mit ihm zu einer Sandgrube bei Wiederau in der Nähe von Rochlitz, misshandelten den wehrlosen Mann schwer und richteten ihn mit drei Schüssen aus nächster Nähe hin. Die Neue Leipziger Zeitung schrieb: »Es besteht kein Zweifel, daß er einem Verbrechen gemeinster Art zum Opfer gefallen ist, das offensichtlich von Feinden der nationalen Erhebung verübt wurde. […] Die Aufklärung dieser Bluttat muß alsbald gelingen, das deutsche Ansehen in der Welt verlangt das«. Es besteht kein Zweifel, dass die bereits von den Nationalsozialisten besetzte Presse hier von einer Aufklärung des Falles absehen und einen Schuldigen unter den Gegnern des NS-Regimes verantwortlich machen wollte.

Ernst Barlach, Vergnügtes Einbein, aus der Mappe: Die Ausgestoßenen, 1922, erworben aus der Sammlung Arthur Weiner, 1930


Den Befehl zu Weiners Ermordung, so schrieb es Landespolizeidirektor und Leiter der Kriminalabteilung Albrecht Böhme handschriftlich im Februar 1934 auf einen Bericht des SA-Oberführers Kurt Lasch, habe Lasch selbst gegeben. Einer der drei ausführenden Täter sei dessen Sohn gewesen. Kurt Lasch hatte in seinem Bericht vom 16. April 1933 versucht, die Tat einer seiner Untergruppen in Chemnitz zuzuweisen. Der genaue Tathergang und die Verantwortlichen dieses Mordes wurden während der NS-Zeit nicht ermittelt. Sogar eine von ausländischen Jüdinnen und Juden ausgesetzte Belohnung für die Aufklärung des Falls in Höhe von 50.000 Reichsmark blieb ohne Ergebnisse. Immer wieder war es Weiners Freund und Kollege Willy Schumann (1884–1957), der eine Aufklärung des Falles forderte. Weitere polizeiliche Ermittlungen blieben auch nach Ende des NS-Regimes erfolglos. Eine in der DDR durchgeführte Untersuchung der Mordsache im Sommer 1960 wurde ebenfalls von der Staatsanwaltschaft des Bezirkes Karl-Marx-Stadt eingestellt.

Nach der Ermordung Arthus Weiners war es seiner Familie unmöglich, weiterhin in Chemnitz zu leben. Erst Anfang 1936 wurde seine Frau Hildegard als neue Eigentümerin der Villa in der Stollberger Straße 41 in das Grundbuch der Stadt Chemnitz eingetragen und konnte somit den Verkauf des Hauses in die Wege leiten. Als ein Chemnitzer Rechtsanwalt im Jahr 1939 der neue Hausbesitzer wurde, hatte Hildegard Weiner, ohne den Erlös des Hauses, die Stadt längst verlassen. Sie kam verarmt bei ihrer Tochter Annie Fleiß in London unter und lebte dort mit ihr für die nächsten 20 Jahre. Erst nach einer Entschädigung in den 1960er Jahren war es ihr finanziell möglich, in eine eigene Wohnung ziehen. Arthur Weiners Enkel Arthur Fleiss berichtet über seine Großmutter, dass diese trotz ihres Schicksals ein lebensbejahender Mensch geblieben war, sich liebevoll um ihre Familie kümmerte und darauf bedacht war, Brücken zwischen den Generationen aufrecht zu erhalten. Die bedeutende Meißner Porzellansammlung vermachte sie dem Victoria and Albert Museum in London als dankbare Geste für das Asyl in England in den 1930er Jahren.

Auf dem jüdischen Friedhof in Chemnitz befindet sich die Grabstätte Arthur Weiners. Erst seit dem 7. April 2009 erinnert ein vor der Stollberger Straße 41 verlegter Stolperstein an Weiners Leben und seine Ermordung. Am 15. Mai 2021 wurde der Platz vor den Kunstsammlungen Chemnitz an der Straße der Nationen ihm zu Ehren und Gedenken in Arthur-Weiner-Platz benannt.