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9. September 2021

Carl Heumann (1886–1945)

Welch bittere Ironie, daß ein Mensch, der in seiner tiefsten Seele ein deutscher Romantiker war, letztlich von den Nazis als »jüdischer Volksfeind« abgeurteilt wurde.

Thomas Heumann über seinen Vater

Der Bankier Carl Heumann gehörte zu den bedeutendsten Kunstsammler:innen der Stadt Chemnitz. Als Mitinhaber des Chemnitzer Bankhauses Bayer und Heinze, portugiesischer Vizekonsul und ausgewiesener Kenner der deutschen und österreichischen Kunst des 18. bis frühen 20. Jahrhunderts war er in den 1920er und 1930er Jahren Gast auf einschlägigen Auktionen und gefragter Leihgeber seiner bedeutenden Sammlung in ganz Deutschland. Diese beinhaltete vor allem Grafik der Romantik des 19. Jahrhunderts.

August Gaul, Distelfink, 1918, Kunstsammlungen Chemnitz, Schenkung Carl Heumann, 1931

Carl Heumann wurde am 19. März 1886 in Köln als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Um das Jahr 1891 verließ die Familie Köln, um nach Dresden zu ziehen, wo der junge Carl Heumann eine Ausbildung zum Bankkaufmann absolvierte. Als Prokurist zog es ihn im Jahr 1908 nach Chemnitz, um dort im 1889 gegründeten Bankhaus Bayer & Heinze zu arbeiten. Ab Januar 1920 wurde er persönlich haftender Gesellschafter und Mitinhaber des Unternehmens. Am 16. August 1919 heiratete er Irmgard Buddecke (1893–1944) und konvertierte zum Christentum. Das Paar hatte drei Kinder Rainer, Thomas und Ulrike. In der evangelisch-lutherischen St.-Pauli-Kirche schloss Heumann mit dem Pfarrer Walter Hoffmann eine enge Freundschaft, in der sich beide angeregt über Kunst und ihre gemeinsame Sammelleidenschaft austauschten. Insbesondere Heumanns Grafiksammlung hatte museale Qualität.Eine Auswahl seiner Blätter stellte er mehrfach im 1860 gegründeten Kunstverein Kunsthütte zu Chemnitz aus, dessen Mitglied er auch war. Das Erkennungsmerkmal seiner eindrucksvollen Kunstsammlung von Handzeichnungen und Aquarallen ist der auf der Rückseite der Werke aufgedruckte Sammlerstempel in Form einer blauen Heublumenblüte.

August Gaul, Frosch-Studien, 1918, Kunstsammlungen Chemnitz, Schenkung Carl Heumann, 1931

Nachdem 1928 Teile aus seiner Sammlung im Grafikkabinett der Städtischen Kunstsammlungen zu sehen waren, folgte im Frühjahr 1930 die umfängliche Fortsetzung der Schau, unter dem Titel 100 Jahre deutsche Zeichenkunst. 1750–1850, in der u. a. Arbeiten von Caspar David Friedrich, Carl Gustav Carus, Ludwig Richter und Moritz von Schwind vertreten waren. Ein weiterer Beleg für die Qualität seiner Sammlung zeigte sich in der Ausstellung mit dem Titel Bildnis und Komposition 1750–1850 im Museum der bildenden Künste in Leipzig im Jahr 1934, die vom Leipziger Kunstverein veranlasst wurde. Zwischen den Jahren 1921 und 1934 schenkte Heumann den Städtischen Kunstsammlungen acht Zeichnungen und 82 Druckgrafiken, von denen neun Arbeiten während der NS-Zeit verloren gingen.

August Gaul, Hamster-Studien, undatiert, Kunstsammlungen Chemnitz, Schenkung Carl Heumann, 1931

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten blieb er von Verfolgungsmaßnahmen zunächst verschont, da er aus Sicht des NS-Regimes eine sogenannte »privilegierte Mischehe« mit einer »Arierin« führte. Dennoch wurde Heumann im Jahr 1938 gezwungen, von seinem Amt im Bankhaus zurückzutreten. Aus seinem Arbeitsfeld vertrieben, zog er sich ins Private zurück und konnte seiner Sammelleidenschaft weiter nachgehen. »Er blieb in seinem geliebten Haus, in ›seinem‹ Deutschland, bei ›seiner‹ Sprache, ›seiner‹ Kultur und Bildung und unterbrach das Leben seiner Familie so wenig als möglich.« Zudem war es ihm möglich, einen Großteil seiner Sammlung vor Zwangsversteigerungen und Enteignung an einem sicheren Ort, im Bankhaus Bayer und Heinze, aufzubewahren.

Als sich die politische und gesellschaftliche Situation durch das Regime der Nationalsozialisten verschärfte und Heumann sich, vertrieben aus seinem Amt, im eigenen Haus seiner Kunst widmete, war es ihm dennoch wichtig, die NS-Reichsbehörden mit Nachdruck darüber zu informieren, dass er trotz ihrer zunehmend judenfeindlichen Politik zu keinem Zeitpunkt auch nur in Erwägung ziehe, das Land zu verlassen. »Die Realitäten außerhalb des Hauses wurden bald überwältigend.« Seine Söhne durften nicht studieren, die Tochter nicht die Oberschule besuchen. Obwohl Rainer und Thomas Heumann im Jahr 1941 noch »wehr- und arbeitsdienstpflichtig« waren, wurden sie wenig später in ein Arbeitslager deportiert. Heumanns Frau Irmgard starb im Jahr am 7. Januar 1944 an einem Gehirntumor. Es ist kaum vorstellbar, wie Carl Heumann diese Zeit erlebte, unsicher über den Verbleib und die Gesundheit der Kinder, allein nach dem Tod der Frau, geduldet vom Regime, jedoch zur Untätigkeit verdammt in seinem Haus. Nachdem Heumanns Frau gestorben war, wurde er von NS-Kulturrat Waldemar Ballerstedt erfolgreich vor der bevorstehenden Deportation beschützt. Carl Heumann starb auf tragische Weise am 5. März 1945 bei einem Luftangriff auf Chemnitz, als er versuchte, einen Koffer mit Zeichnungen aus dem Luftschutzkeller seines brennenden Hauses zu retten. Das Grab der Familie befindet sich in Garmisch-Partenkirchen. Der überwiegende Teil seiner Sammlung konnte vor Heumanns Tod an einen sicheren Ort gebracht werden und ging später in den Besitz der Kinder über, die den Nationalsozialismus überlebt hatten.

Heute befinden sich insgesamt sechs geschenkte Zeichnungen und 75 Druckgrafiken aus der Sammlung Heumann im Bestand der Kunstsammlungen Chemnitz. Neben Zeichnungen von Julius Scholtz, Carl Gottlob Peschel und Peter Fendi zählen hierzu auch Druckgrafiken von Adolph von Menzel und August Gaul.
Der Sohn Thomas Heumann (1928–2017) wanderte nach schwierigen Zeiten im Arbeitslager in Munzig bei Meißen nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA aus. Er vermachte testamentarisch zu Ehren seines Vaters drei Werke den Kunstsammlungen Chemnitz: die Zeichnung Waldlandschaft (Eichenwald) von Christian Friedrich Gille (1805–1899), die Zeichnung Junger Mann, trauernd von Eduard Bendemann (1811–1889) und die Ölstudie Maler im Biedermeierzimmer von Friedrich Loos (1797–1890). Auch Christian Friedrich Gilles Gemälde Im Parkgrund, um 1830/1835, das im Jahr 1948 über die Kunsthandlung Gerstenberger als Schenkung in die Städtische Kunstsammlung Chemnitz gelangte, stammt aus der Sammlung dieses ungewöhnlichen Kunstmäzens.