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9. September 2021

Erich Goeritz (1889–1955)

Fotograf unbekannt, Erich Goeritz und Karl Leder, um 1920

Erich Josef Goeritz wurde im Jahr 1889 in Chemnitz geboren. Als Sohn einer jüdischen Textilunternehmerfamilie, deren Wurzeln in Ostpreußen lagen, führte er schon bald das florierende Unternehmen seines Vaters fort. Während die Firma Sigmund Goeritz AG zu einer der wichtigsten Firmen für Damenunterwäsche in Deutschland avancierte, widmete sich Erich Goeritz dem Sammeln von Kunst. Bis 1933 gehörte er zu den wichtigsten und bekanntesten Kunstsammlern in Deutschland. Seine Sammlung umfasste Werke von Gustav Courbet, Paul Cézanne, Claude Monet, Édouard Manet, Alexei von Jawlenski, Oskar Kokoschka, Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel, Wilhelm Lehmbruck und Alexander Archipenko. Darüber hinaus pflegte er eine besondere freundschaftliche Beziehung zu den Malern Max Liebermann und Lovis Corinth. Wie groß seine Bewunderung für Corinth war, lässt sich sehr gut an einer Fotografie von Waldemar Titzenthaler erkennen, der in den 1920er Jahren die Wohnräume der Familie Goeritz für die Zeitschrift Die Dame ablichtete.

Waldemar Titzenthaler, Wohnung des Textilkaufmannes Erich Goeritz, 1922

Zwischen Gobelins, Mobiliar, Skulpturen und Grafiken hängen an der Wand drei Ölgemälde: Auf der linken Seite ist ein Selbstportrait von Corinth zu sehen, auf dem Gemälde in der Mitte sind das Ehepaar Senta und Erich Goeritz abgebildet und das rechte Bild trägt den Titel Die Kunstfreunde, David Leder und Erich Goeritz. Die beiden Kunstsammler kannten sich aus Chemnitz und unterstützten sich zeitlebens. Als David Leder aufgrund der Inflation in den 1920er Jahren große Teile seiner Sammlung veräußern musste, war es Erich Goeritz, der Grafiken ankaufte, um sie zu bewahren, der dem Freund in Not Asyl bot, als das Haus in Chemnitz drohte, veräußert zu werden und der ihm eine Arbeit in der eigenen Firma anbot, als Leders Unternehmen in den Konkurs ging.

Lovis Corinth, Die Kunstfreunde, Erich Goeritz und David Leder, 1921, Kunstforum Ostdeutsche Galerie, Regensburg, Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland

Neben seiner Sammeltätigkeit war Goeritz auch selbst künstlerisch tätig. Im Jahr 1920 beteiligte er sich an Ausstellungen des Deutschen Künstlerbundes und in den folgenden Jahren auch an Ausstellungen der Kunsthütte Chemnitz. Leider sind nur noch wenige seiner Arbeiten erhalten geblieben. Eine Lithografie, die Goeritz dem Museum im Jahr 1921 schenkte, zeigt einen besonderen Moment zwischen Sammler Goeritz und Künstler Corinth. In lockerem Strich skizzierte Goeritz den Maler bei der Arbeit an der Staffelei.

Erich Goeritz, Corinth, malend, 1921, Kunstsammlungen Chemnitz, Schenkung Erich Goeritz, 1921

Auf Anregung des Museumsdirektors Friedrich Schreiber-Weigand schenkte Goeritz dem Museum 1925 über 1.100 Lithografien des französischen Künstlers Honoré Daumier. Die in speziellen Grafikkästen aufbewahrte Sammlung vereint herausragende Serien und Einzelblätter aus der französischen Sartire-Zeitschrift Le Charivari als humorvolles und zuweilen überspitztes Sittenbild des bürgerlichen Pariser Lebens. Noch heute gilt die Schenkung aufgrund ihrer Qualität und Geschlossenheit als Rarität, die außerhalb Frankreichs ihresgleichen sucht.

Honoré Daumier, Une émotion au Jardin du Plantes (Aufregung im Botanischen Garten), 1844, Kunstsammlungen Chemnitz, Schenkung Erich Goeritz, 1925

Nach seinem Umzug nach Berlin im Jahr 1921 unterstützte er das Museum weiterhin mit Leihgaben und Schenkungen aus seiner umfangreichen Sammlung. Ebenso war er anerkanntes Mitglied des Ausstellungsausschusses. In Berlin führte er sein Unternehmen erfolgreich fort. Der wirtschaftliche Fortschritt sollte sich auch in der Architektur seines Unternehmens spiegeln und so engagierte Goeritz im Jahr 1922 den angesehenen Industriearchitekten Hans Poelzig, um die Firma in Chemnitz zu vergrößern. Bis zum Abschluss des Bauprojektes im Jahr 1927 konnte jedoch nur etwa ein Zehntel des geplanten Bauprojektes realisiert werden. Nachdem der erste Bauantrag von 1922 aufgrund der Höhe des Gebäudes abgelehnt wurde, kamen die Planungen ins Stocken und konnten erst 1924 wieder aufgegriffen werden. Poelzig modifizierte 1925 die Entwürfe weitreichend und sah statt des ursprünglich geplanten L-förmigen Gebäudes nunmehr eine ausgedehnte U-förmige Anlage vor. Im selben Jahr begannen schließlich die Arbeiten des ersten und zugleich letzten Bauabschnittes, der 1927 bezogen werden konnte und noch heute erhalten ist.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten konnte Goeritz mit seiner Frau und den zwei Söhnen im Jahr 1934 über Luxemburg in das Vereinigte Königreich emigrieren. Genau wie David Leders Frau Lola nahm auch Senta Goeritz hier am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teil. Neben ihrer Position als Co-Direktorin der Firma ihres Mannes, setzte sie sich für die Förderung junger Künstler:innen ein und half im Jahr 1936 hunderten Jüdinnnen und Juden sowie politisch Verfolgten, Deutschland wegen der zunehmenden Bedrohungen durch die Nationalsozialisten zu verlassen. In London war sie als Mitarbeiterin der Kinder- und Jugend-Alijah tätig, während Erich Goeritz weiterhin in der Textilbranche arbeitete und sich der Kunst widmete. Erich Goeritz starb im Jahr 1955 in London. Teile seiner Sammlung verschickte er 1935 als Dauerleihgaben nach Tel Aviv in das neugegründete Museum. Die Erich Goeritz-Collection ist heute Teil der Sammlung des Tel Aviv Museum of Modern Art in Israel. Weitere Kunstwerke befinden sich im Besitz der Nachfahren, in Privatbesitz, sowie in den Sammlungen deutscher, britischer und amerikanischer Museen.

Fotograf unbekannt, Unbekanntes Kind, Erich Goeritz und Karl Leder (v.l.n.r.), um 1930, Sammlung Jürgen Nitsche, Nachlass Lee Gutmann-Leder, Archiv der jüdischen Gemeinde Chemnitz

Fotograf unbekannt, Erich Goeritz, unbekannte Frau und Karl Leder (v.l.n.r.), undatiert, Sammlung Jürgen Nitsche, Archiv der Jüdischen Gemeinde Chemnitz