Musterung
3. Oktober 2024

Shannon Bool

Dawn, 2020

Das Motiv des Wandteppichs wurde am Computer designt und basiert auf einem Foto einer historischen Präsentation im Pariser Modehaus von Yves Saint Laurent. Bool arrangiert die modernistischen Figuren, die selbst bereits ein Bild von weiblichen Körpern sind, auf einer weiteren Projektionswand. Der Teppich wurde in Belgien mit einer hochtechnologischen Jacquard-Webmethode produziert.

(Rechts:) Shannon Bool, Dawn, 2020, Jacquard-Teppich mit Seide, 241 x 183 cm, Ausstellungsansicht: Musterung. Pop und Politik in der zeitgenössischen Textilkunst, 2020. Foto: Frank Krüger; courtesy: Kunstsammlungen Chemnitz

Shannon Bool

geb. 1972 in Comox, Kanada, lebt und arbeitet in Berlin, Deutschland

Das Bildmotiv des großformatigen Wandteppichs Crimes of the Future wurde am Computer designt und basiert auf einer Fotografie einer Präsentation im Musée Yves Saint Laurent in Paris. Die extreme Vergrößerung des Motivs erzeugt eine Rasterung des Bildes, die explizit Teil des gewebten Werkes wird. Shannon Bool arrangiert die modernistisch-minimalistisch dargestellten Figuren der Models, die bereits selbst Idealtypus des weiblichen Körpers sind, auf eine weitere Projektionsebene. Der Körper wird zum »Ort der Bilder«. Das Bild sucht einen Ort in der Architektur. Die Körper der Figurinen sind collagenhaft mit Silhouetten und Detailansichten sakraler Architekturen des Brutalismus wie der Wotruba-Kirche in Wien, der Neviges Kirche von Gottfried Böhm in Velbert und dem Zweiten Goetheanum von Rudolf Steiner aufgefüllt. Die Musen des Konsums selbst sind bedeutungsleer und erstarren zu eingefrorenen Architekturen. Damit verknüpft Bool verschiedene Konzepte der Moderne. Der Begriff des »beton brut«, des »rohen Sichtbetons», und die damit zunächst verknüpften Vorstellungen von Brutalismus, zielten auf das Erleben purer Oberflächen, auf »echtes Sehen«, »Materialehrlichkeit« und »Sinnlichkeit statt Kommerz«.
Auch der Wandteppich Dawn kombiniert die Ästhetik der Fotografie mit der digital gesteuerten Herstellung von Tapisserien in der Jacquard-Technik. Das Motiv zeigt eine Innenansicht des berühmten Wohnhauses E1027 der irischen Architektin und Designerin Eileen Gray, die zu einer Ikone der modernen Architektur wurde. Teil des Interieurs war der runde Spiegel Satellite Mirror. Er reflektiert im Bild nicht nur die Umgebung, sondern auch eine – vielleicht den Betrachter stellvertretende – Figurine, die nur im Bild des Spiegels existiert und dieses endlos wiederspiegelt.
In beiden Arbeiten thematisiert die kanadische Künstlerin körperliche Erfahrungen zwischen digitalen und realen Räumen, die durchlässiger werden.

Crimes of the Future, 2020, Jacquard-Teppich mit Seide, 280 x 414 cm, courtesy: Galerie Kadel Willborn

Detailansicht von Crimes of the Future, Foto: Frank Krüger; courtesy: Kunstsammlungen Chemnitz