Gustav Schaffer, Bildnis David Leder, 1920, Kunstsammlungen Chemnitz, vermutlich Schenkung David Leder, zweite Hälfte der 1920er Jahre; Nachinventarisierung 1962, Provenienzrecherche noch nicht abgeschlossen
Die Familie Leder kam im Jahr 1889 aus dem rumänischen Jassy nach Chemnitz. Hier erlangte der junge Textilkaufmann David Leder durch den Handel mit Textilrohstoffen schnell großen Wohlstand, der sich auch in seiner stetig wachsenden Kunstsammlung widerspiegelte. Leder besaß Werke von Paul Cézanne, Lovis Corinth, Albrecht Dürer, Karl Hofer, Edvard Munch, Rembrandt, Max Slevogt, Otto Theodor Wolfgang Stein, Henri de Toulouse-Lautrec, Lesser Ury und Maurice de Vlaminck. Eine besondere Vorliebe hatte er für die Zeichnungen des jüdischen Künstlers Max Liebermann und für die Werke des Malers Otto Theodor Wolfgang Stein, von dem er etwa 30 Gemälde und 400 Arbeiten auf Papier besaß. Mit beiden Künstlern verband ihn neben der Liebe für ihre Kunst auch eine freundschaftliche Beziehung. Während Stein sich für Leders Interesse an seinen Werken erkenntlich zeigte, indem er den Kaufmann bei Kunstankäufen beriet, porträtierte Liebermann Leders Familie. Ein besonderes künstlerisches Interesse hatte der Berliner Impressionist an Leders Frau Lola Leder. Die in Gallizien geborene Lola war eine schöne und selbstbewusste Frau, die Liebermann zu acht Porträts inspirierte, von denen heute einige als verschollen gelten oder sich in verschiedenen Kunstmuseen befinden.
Max Liebermann, Bildnis Lola Leder, 1922, Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern
Eine Fotografie, die etwa um das Jahr 1920 entstanden sein muss, zeigt David Leder, seinen Bruder Karl Leder, den Kunstsammler und Unternehmer Erich Goeritz und Lola Leder. Gemäß der Zeit kümmerte sie sich um die Erziehung der gemeinsamen Kinder Ruth, Alfred und Rudolf, der später als Schriftsteller Stephan Hermlin bekannt wurde. In seinem Roman Abendlicht zeichnet er mit Worten ein Bild seiner Mutter, das die Eleganz und den Anmut der Frau auf den Zeichnungen und Gemälden Liebermanns noch spürbarer werden lässt:
»Meine Mutter ging viel aus, sie traf sich in Dresden mit Bekannten, die aus Berlin kamen oder aus dem Ausland, aber zum Mittagessen war sie wieder bei mir. Junge elegante Männer erschienen zu kurzen Besuchen, sie sprachen höflich mit meiner Mutter und werbend mit mir und verabschiedeten sich bald, jeden Morgen brachte das Mädchen ein Tablett mit ein paar Visitenkarten, meine Mutter las sie und lachte übermütig, und unsere Zimmer füllten sich mit Blumen, man brachte sie in ganzen Körben, man merkte kaum wie sie welkten, denn neue traten an ihre Stelle.«
Stephan Hermelin, Abendlicht, Leipzig 1981, S. 39.
Fotograf unbekannt, David Leder, Lola Leder, Karl Leder und Erich Goeritz (v.l.n.r.), um 1920, Privatbesitz
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten erklärte David Leder seinen Austritt aus den verschiedenen Vereinen, in denen er Mitglied war, selbstbestimmt. Im Jahr 1938 wurde er in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert und dort für sechs Wochen gefangen gehalten. Er verrichtete im Lager schwerste körperliche Arbeit, »habe jedoch der SS gegenüber bis zuletzt eine merkwürdige Haltung gewahrt, die Disziplin, Höflichkeit und Verachtung ausdrückte.« zitierte Hermlin die Aussage eines dort ebenfalls inhaftierten Metallarbeiters. Leders Frau Lola kaufte ihren Mann aus dem Lager frei. Sie gingen gemeinsam ins Exil nach London, wo David Leder am 1. März 1947 verstarb.
»Er war immer ein Mensch gewesen, der ungern sprach, von distanzierter abwesender Freundlichkeit, so sehr in sein Schweigen und Träumen vertieft, daß er oft Minuten brauchte, um in die Wirklichkeit zurückzufinden, wenn man ihn beharrlich anredete oder ihm Fragen stellte.«
Stephan Hermlin, Abendlicht, Leipzig 1981, S. 127.
David Leder schenkte den Städtischen Kunstsammlungen Chemnitz im Jahr 1927 drei Grafiken von Lucie Rochenberg. Leider ist weder etwas zur Künstlerin, noch über ihre Lebensdaten bekannt. Im Vergleich der gezeichneten Köpfe und der Fotografie von Lola Leder (siehe oben), liegt es jedoch nahe, dass die Dargestellte David Leders Frau sein könnte und Lucie Rochenberg eine Bekannte der Familie Leder war.
Lucie Rochenberg, Weibliche Bildnisköpfe III & II, 1927/1926, Kunstsammlungen Chemnitz, Schenkung David Leder, 1927
Fotograf unbekannt, Uta Bellmann und Lee Leder in Chemnitz, undatiert, Sammlung Jürgen Nitsche, Archiv der Jüdischen Gemeinde Chemnitz
Auch David Leders Bruder Max Leder (1894-1927) sammelte Kunst, obgleich in sehr viel zurückhaltender Weise. Seine Sammlung läßt sich, ähnlich wie die des Cousins Karl Leder (1888-1944) kaum mehr rekonstruieren. Nachweislich besaßen beide Kunstwerke von Max Liebermann, Karl Hofer, Alexej von Jawlensky, Oskar Kokoschka und Otto Theodor Wolfgang Stein. Max Leder schenkte dem Museum im Jahr 1921 die Grafik Sitzendes Mädchen von Stein, die nur kurz davor entstanden ist.
Fotograf unbekannt, Max Leder, undatiert, Sammlung Jürgen Nitsche, Archiv der Jüdischen Gemeinde Chemnitz
Fotograf unbekannt, Karl Leder in der Heinrich Beck Straße in Chemnitz, undatiert, Sammlung Jürgen Nitsche, Archiv der Jüdischen Gemeinde Chemnitz