Der Mensch verbindet mit Orten, an denen er war, an denen er gelebt hat oder die ihm einfach nur aufgrund eines besonderen Ereignisses im Gedächtnis geblieben sind, individuelle und persönliche Wahrnehmungen. Er entwickelt emotionale und sinnliche Verknüpfungen im Gedächtnis. Jeder kennt diese Gefühle. Mit dem Blick auf einen Garten, an dem sich jemand als Kind wohl gefühlt hat, kann nach vielen vergangenen Jahren die Erinnerung an einen speziellen Duft oder ein Geräusch wachgerufen werden, mit einer schmerzvollen Trennung am selben Ort verbindet jemand anderes ein bestimmtes Licht am Himmel oder den Geruch eines heranziehenden Gewitters. Die Orte erzählen uns Geschichten und damit verbundene Assoziationen aus der Vergangenheit. Von den Geschichten der anderen wissen wir oft nichts. Und trotzdem teilen wir diese Orte über viele Jahre hinweg. Wie malt man einen Ort, mit dem jeder Mensch ein individuelles Gefühl verbindet?
Eldar Farber, e.t. Park West, 2019
Als Eldar Farber (*1970) im Jahr 2005 zum ersten Mal nach Deutschland kam, hatte er eine subtile unbestimmbare Angst vor diesem Land, das in seiner Vorstellung immer schwarz-weiß gewesen war, so wie auf den Fotos seiner Eltern. Bei einem Besuch des Konzentrationslagers Ravensbrück, in dem diese während der Zeit des Nationalsozialismus inhaftiert waren, stellte er sich vor der heute überwiegend grünen Landschaft die Fragen: »Kennt dieser Baum meinen Vater?« und »Wie malt man einen Ort, von dem man am Kinderbett schreckliche Dinge hörte?« Wieviel erzählt eine Landschaft über die an ihr vorüberziehende Geschichte? Wieviel weiß ein Baum über historische Augenblicke, die in seinem Leben nur ein Sekundenbruchteil waren? Bleiben schmerzliche, grausame oder freudige Augenblicke, die von der Menschheit geschaffen und erlebt wurden im Gedächtnis der Natur? Eldar Farbers Bilder sind Dokumente seiner Betrachtung, Auseinandersetzung und Erforschung von Landschaft unter Einbeziehung dieser Gedanken im Dialog mit der Frage nach der eigenen Identität.
Für Farber ist jede Art von Beobachtung von Landschaft verknüpft mit persönlichen Erinnerungen der Betrachtenden. Derart hat jede Landschaft für jeden eine individuelle Atmosphäre, Charakter, Temperament, Schwere oder Leichtigkeit, Spannung und Anziehungskraft. Sie kann Gelassenheit oder Angst hervorrufen, ist jedoch immer verknüpft mit Farbers Gefühl, persönlichen Erinnerungen und denen der Betrachter:innen.
Eldar Farber, Small Mauer Park, 2019
Der Künstler arbeitet in der freien Natur, oft über Wochen oder Monate hinweg an einem Motiv. Währenddessen verändert sich die Natur, die Stimmung und das Licht. »In Israel gibt es dieses weiche Licht nicht.«, so der Künstler. »Hier in Deutschland sind sogar in den dunklen Tönen unzählige Nuancen zu erkennen.« In seinen intensiven, ausgedehnten und konzentrierten Beobachtungen bleibt er den Landschaften in ihrer Realität treu. Für Farber gibt es bei der Betrachtung einer Landschaft jedoch nicht »den einen Blick darauf«. Als Lebewesen erforschen wir unsere Umwelt, um uns zurechtzufinden und zu überleben. Dabei steht das objektive Beobachten, die Realität, dem subjektiven Empfinden, der eigenen Wahrheit, gegenüber. Durch das Zusammenspiel beider Aspekte in Verbindung mit Licht und Farbe öffnen sich den Betrachter:innen Farbers Landschaftsbilder. Er dekonstruiert die beobachtete Natur in ihre abstrakten Formen und fügt sie unter Einbeziehung der Veränderungen auf der Leinwand zu einem Bild erneut zusammen. Seine Landschaften sind persönliche und kollektive Aus- und Rückblicke in die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft.
Farber beobachtete bei seinen Begegnungen in Deutschland, dass ihm, als Sohn von Holocaustüberlebenden, Menschen insbesondere aufgrund der historischen Schuld des Landes unsicher und vorsichtig gegenübertraten. In diesem fragilen Identitätsgefühl sieht er eine Chance für die Entwicklungsmöglichkeiten in einem Land, mit dem er Frieden geschlossen hat. Seine Bilder bieten einen Dialog dafür an.
Eldar Farber, Small Mauer Park West, 2019