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9. September 2021

Otto Theodor Wolfgang Stein (1877–1958)

Der Maler und Zeichner Otto Theodor Wolfang Stein (im folgenden Text Otto Stein) nahm unter den Malern in den 1920er Jahren eine besondere Position ein. Seine oft konservativ anmutenden Motive sowie die dunklen, mal pastellig aufgetragenen Farben waren beim kunstinteressierten Publikum in Deutschland beliebt. Weniger aus kunsthistorischen Gründen, mehr durch äußere Lebensumstände wurde das Leben und die künstlerische Entwicklung des Kosmopoliten und Netzwerkers in Chemnitz entscheidend geprägt und beeinträchtigt.

Jósef Rosner, Porträtfotografie Otto Th. W. Stein, 1929, Kunstsammlungen Chemnitz, erworben 1951

Otto Stein wurde am 23. Januar 1877 in der nordböhmischen Stadt Saaz als Sohn einer deutsch-jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Der junge Stein galt schon zu Schulzeiten als ein Rebell und gestaltete unbeugsam seinen eigenen Lehrplan. Ein Herbarium, verschiedene Sammlungen von Briefmarken, Schmetterlingen und Mineralien sowie eine Kollektion ausländischer Zigarettenstummel sprachen für eine große Sammelleidenschaft. Stein war sehr sprachbegabt und absolvierte um 1895/1896 eine Ausbildung zum Fremdsprachenkorrespondent in einem Exporthaus in Triest. Es ist sehr wahrscheinlich, dass damit verbundene Reisen nach Italien und Besuche der altrömischen antiken Orte wie Pompeji und Herculaneum Inspirationsquellen seines nun folgenden künstlerischen Werdegangs wurden.

Als Gründungsmitglied der Münchener Sezession und Initiator des Internationalen Künstlerbundes stieg sein persönliches und künstlerisches Ansehen. Im Jahr 1919 zog es ihn nach Berlin, wo er den Textilkaufmann David Leder kennenlernte, der einer seiner wichtigsten Mäzene und Freund werden würde. Während Leder Arbeiten von Stein erwarb, beriet dieser ihn beim Ausbau seiner umfangreichen Kunstsammlung. In Leders kunstsinniger und musischer Familie trafen sich neben Stein auch die befreundeten Künstler Max Liebermann und Lovis Corinth sowie Max Slevogt und der jüdische Violinist Andreas Weißgerber.

Lovis Corinth, Bildnis Andreas Weißgerber, Fassung II, 1919, Kunstsammlungen Chemnitz, Schenkung von einem „Kunstfreund“, 1919

Manchmal erschien ihm der Maler S., dessen verführerische, in grauen und graublauen Tönen gemalten Bilder mein Vater schätzte.

Stephan Hermlin, Abendlicht, Leipzig 1981, S. 24.

So beschrieb Leders Sohn Stephan Hermlin die Besuche Steins im Hause der Familie. Bereits im Jahr 1902 war Stein aus der mosaischen Religionsgemeinschaft ausgetreten und Mitglied der evangelischen Gemeinde geworden. Doch weder dem orthodoxen jüdischen noch dem christlichen Glauben hatte sich der freigeistige Stein besonders verpflichtet gefühlt. Als Stein die Großstadt Berlin zu viel wurde, ermöglichte ihm David Leder einen Aufenthalt in Nidden auf der Kurischen Nährung, in dessen idyllischer Küstenlandschaft der Maler seiner künstlerischen Arbeit nachgehen konnte.

Otto Th. W. Stein, Nehrungslandschaft mit Pferd, zwischen 1922 und 1926, Kunstsammlungen Chemnitz, erworben vom Künstler, vermutlich im Tausch gegen ein anderes Gemälde, 1939

Vielleicht war es die Familie Leder, die Stein im Jahr 1924 überzeugte nach Chemnitz zu gehen. Vertraut mit dem internationalen Kunstgeschehen, gewann er hier neben Verbindungen zum Theater, zur Oper und zur Kunsthütte zu Chemnitz einen großen Freundeskreis aus Intellektuellen, Ärzten, Journalisten und Unternehmern. Eine besondere Beziehung fand er im Hause der Familie von Musiklehrer, Kritiker und Komponisten Otto Böhme, wo er nach eigenen Aussagen sein »menschliches Glüc fand.

Otto Th. W. Stein, Lesendes Mädchen, 1921, Kunstsammlungen Chemnitz, Schenkung David Leder, 1922

Zudem war Stein Mitglied des exklusiven Rotary Club Chemnitz, zu dessen Mitgliedern auch der Kunstsammler Carl Heumann gehörte und dessen Club-Sekretär Museumsdirektor Friedrich Schreiber-Weigand war. Sein rethorisches Talent nutzte Stein, um Texte über die Ausstellungen seiner Künstlerkollegen zu schreiben. Die Zeit in Chemnitz war für Otto Stein mit künstlerischem Erfolg und persönlichem Wohlbefinden verbunden. Doch spürte er auch die unheilvollen Veränderungen, die bevorstanden:

Ich werde wohl so manches Bild in der Erinnerung nach Hause tragen und wenn es vor mir in Chemnitz auf der Staffelei stehen wird, malend darin leben – und dabei das andere Leben vergessen, das weniger schön ist.

Stein brieflich an W. Illig, 29. Juli 1935 nach einem Ostseeurlaub in Poberow/Pommern, in Olaf Thormann, Der Maler und Zeichner Otto Th. W. Stein (1877-1958). Leben und Werk, zugl. Dissertation Universität Leipzig, Frankfurt am Main u.a.O.: Lang 1992 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 28, Band 50)

Und das andere, weniger schöne Leben nahm immer mehr Kontur an. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten und die Einführung des sogenannten »Arier-Nachweises« zwangen Stein in die Tschechoslowakei zu gehen. Der Verlust menschlicher und persönlicher Beziehungen in einem ihm fremden Land überschatteten auch die künstlerischen Arbeiten des neuen Lebens in Prag. War es im Deutschen Reich das Judentum, das zu seiner Verfolgung führte, war es im tschechischen Exil sein vertrautes deutsches Leben, das ihn zu einem Fremden machte. Stein lehnte alle Angebote von Freunden ab, ihm ins französische oder süd-afrikanische Exil zu folgen. Im Jahr 1942 wurde er unter der Nummer AA v 17 nach Theresienstadt deportiert, wo er unter widrigsten Umständen überlebte und anschließend nach Prag zurückkehrte.

Otto Th. W. Stein, Tulpenstillleben mit Äpfeln, 1920, Kunstsammlungen Chemnitz, erworben vom Künstler, 1937

In Chemnitz versuchte der wiedereingesetzte Direktor Friedrich Schreiber-Weigand eine Ausstellung anlässlich zu Steins 70. Geburtstag zu organisieren – ein Vorhaben, dem der Maler selbst aus der Ferne skeptisch gegenüber stand. Leihgesuche wurden kaum beantwortet und der Kunstgeschmack hatte sich im Laufe der Zeit verändert. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte Stein an seinen einstigen Erfolg nicht mehr anknüpfen und geriet mehr und mehr in Vergessenheit.

Zurückgezogen lebte er mit 74 Jahren im tschechischen Friedland. Im Alter von 81 Jahren starb Otto Theodor Wolfgang Stein am Abend des 28. November 1958.

Es war ein herrlicher Wintertag, aber es war ein trauriger Tag, wir waren kaum 13 am Sarg…

Brief von Zdenek Louda an F. Böttger vom 22. Dezember 1958